Mittwoch, 10. Februar 2010

Risiken und Chancen, wenn wir uns mit anderen vergleichen

Risiken und Chancen, wenn wir uns mit anderen vergleichen

"Theorie sozialer Vergleichsprozesse:"

Menschen haben das Bedürfnis, ihre Fähigkeiten und Meinungen zu evaluieren.

Dies ist eine der Kernaussagen von Leon Festingers Theorie der sozialen Vergleichsprozesse. Ihr nach beeinflusst der Vergleich mit anderen Menschen, wie wir uns selbst einschätzen. Eine enorme Chance für unsere Weiterentwicklung, aber ein hohes Risiko für unser Selbstbewusstsein.




















Sich mitreißen lassen

Ich habe mich immer an denen orientiert, die in meinem persönlichen Umfeld für mich das Maß aller Dinge in einer Disziplin waren. Wenn jemand acht Stunden am Tag an der Gitarre übte und wie ein Wahnsinniger spielen konnte, dann war diese Person für mich der Vergleichsmaßstab. Ich wollte keine acht Stunden am Tag üben, aber ich wollte so gut spielen können. Also habe ich eine Balance gesucht aus für mich vertretbarer Übungszeit und der Leistung, die am Ende dabei herum kam. Unter Anderem durch dieses “nach oben orientieren” habe ich mich selbst motiviert und jemanden gehabt, zu dem ich in dieser Disziplin aufschauen konnte. Jemanden, der mich mitzog.

Aber: Wenn ich mich immer nur nach oben orientiere, dann setze ich mit zunehmender eigener Leistungsfähigkeit auch immer die Messlatte noch ein Stück höher. Wenn ich immer nur nach oben blicke, dann leidet langfristig das Selbstbewusstsein. Denn im wahrsten Sinne des Wortes hinkt dieser Vergleich. In den meisten Fällen liegen die Gründe für mehr Kompetenz in einem Bereich in mehr Erfahrung, höherer Leistungs- und Opferbereitschaft und einem höheren Durchhaltevermögen. Talent und Glück spielen auch eine Rolle, aber sicherlich nur eine unterstützende. Eigentlich müsste man sich diese Gründe für die Mehrleistung des “Vergleichspartners” nur vorhalten und das Selbstbewusstsein wäre geschützt. Müsste…

Den Kopf auch einmal nach unten richten

Ich habe mir inzwischen angewöhnt, immer mal wieder einen “Blick nach unten” zu werfen. Eben zu den Menschen, die einer Disziplin noch nicht so weit sind, wie ich. Nicht aus Arroganz und Abfälligkeit, nicht um das eigene Ego wieder aufzuwerten, weil andere noch nicht so weit sind. Sondern weil ich somit den Weg vorhalten kann, den ich gegangen bin und weil ich mir auf diese Weise die Schwere des weiteren Weges ein wenig ausreden kann. Ich muss nur dran bleiben…


Die goldene Mitte finden

Die Theorie der sozialen Vergleichsprozesse weist darauf hin, dass der Vergleich “eher mit Personen, die ähnliche Fähigkeiten und Meinungen” wie man selbst hat, stattfindet. Ein gesunder Weg aus Weiterentwicklung und dem Wahren des Selbstbewusstseins. Denn meist sind es die gleichaltrigen, vergleichbar erfahrenen und vergleichbar gebildeten, mit denen ich im Alltag im Wettbewerb stehe.

Wenn man einmal aufgehört hat, diese Schraube der Erwartung an sich selber weiter nach oben zu drehen, dann ist auch der gelegentliche Blick nach oben nicht mehr schädlich, sondern fruchtbar geworden.

quelle: http://1ung7a.eu/archiv/risiken-und-chancen-wenn-wir-uns-mit-anderen-vergleichen/

Rezept für ewige Jugend?: Im Tal der Unsterblichen
















Eigentlich lüftete sich das Geheimnis von selbst. Man könnte sogar sagen, dass sie plötzlich auf dem Tisch stand, die Lösung unseres Rätsels. Gerade hatte der alte Jawar Beg, auf der Holzveranda seines Hauses sitzend und in die Abendsonne blickend, von seiner Zeit bei der indischen Armee erzählt. Damals, als noch keine Straße ins Tal führte und man in die nächste Stadt drei Tagesmärsche zu Fuß unterwegs war. Als seine Majestät, der "Mir von Hunza", noch im hölzernen Fort residierte und von dort oben sein kleines Fürstentum regierte. Wann das war? "So sechzig, siebzig Jahre ist das wohl her", sagt Jawar. Dann springt er auf, geht zur Küche. Sein Gang ist federnd, dabei ist er schon 93 Jahre alt. Mit einer weißen Emailleschüssel kommt er zurück. Bis zum Rand ist sie gefüllt mit getrockneten Aprikosen, Walnüssen, Mandeln. "Greifen Sie zu, greifen Sie zu. Das ist gut für die Gesundheit, das hält jung!"

Am dritten Tag war das. Zu einem Zeitpunkt, wie wir sagen müssen, als wir schon nicht mehr ganz bei uns waren. War es die dünne Höhenluft, die uns schwindeln ließ? Tausende Meter über dem Meer, irgendwo im Himalaya, die Berge so hoch und gewaltig, dass ihre riesigen Schatten schon am Nachmittag alles Licht verschlucken. War es die atemberaubende Schönheit der Frühlingslandschaft? Die leuchtend grünen Felder mit den Obstbäumen, umgeben von den steilen, kahlen Felswänden der schneebedeckten Bergkuppen. Auch der Himmel ist unendlich blau hier. "Eine waagrechte Oase in einer senkrechten Wüste", hatte ein Reisender einmal das Hunza-Tal beschrieben.

Vielleicht muss man die Geschichte von Hunza, dem kleinen, versteckten Königreich im Himalaya, als ein Märchen erzählen. Es handelt von einem uralten Menschheitstraum, von der Sehnsucht nach dem ewigen Leben. Nach einem Dasein ohne Maschinen und Hektik, in Harmonie mit der Natur. 1878 war zum ersten Mal ein Europäer, der Engländer John Biddulph, in das versteckte Tal im heutigen Nordpakistan gekommen. Später nahmen Entdecker und Abenteurer den mühsamen Weg ins von 7000 Meter hohen Bergkuppen eingekesselte Hochtal auf sich. Und sie fanden einen Ort, an dem die Menschen offenbar steinalt wurden. Ohne ausgebildete Ärzte, ohne Medizin schienen die Hunza weit über hundert Jahre alt zu werden. Als das "Tal der Alten" wurde Hunza berühmt. Und jetzt steht sie vor uns, die Lösung, und lässt uns leise auflachen: eine Schüssel Müsli.

Aber beginnen wir am Anfang. Und auch der ist ein Rätsel. Bis heute weiß niemand, von wem die Menschen in Hunza abstammen. Ihre Haut ist heller als die der Pakistani, viele haben blonde Haare und blaue Augen. Vor langer Zeit soll einmal die Armee von Alexander dem Großen durch das Gebiet gezogen sein. Die zurückgebliebenen Soldaten seien die Vorfahren der Hunza, erzählt man sich. Fest steht, dass das Tal jahrhundertelang von der Außenwelt abgeschlossen war. Durch ein kompliziertes Bewässerungssystem hatten die Hunza die kargen Berghänge fruchtbar gemacht. In waghalsigen Höhen hatten sie - nur mit den Hörnern des Steinbocks als Werkzeug - Kanäle in die Felswände geschlagen, durch die bis heute das Gletscherwasser auf die Felder sprudelt. Ein kleiner, autarker Staat entstand. Das Leben war einfach. Alle hatten mehr oder weniger das gleiche: Getreide, Gemüse, getrocknetes Obst für das Bauernvolk. Etwas mehr Butter und Milch für die Familie des Fürsten. Niemand musste hungern, niemand wurde reich.

Die Menschen in Hunza verließen praktisch nie ihr Tal, vor Fremden hielten sie sich sogar versteckt. Im Jahre 1892 eroberte ein Stoßtrupp der britischen Armee das Fort. Nach fünf Jahren zogen die Engländer aber wieder ab. Hunza blieb eine Märchenlandschaft, die kaum jemand aus dem Westen mit eigenen Augen gesehen hatte. "Ihre Haut ist so dünn", schrieb der Entdecker Gottfrey Vigne über die Menschen von Hunza. "Wenn sie etwas trinken, kann man das Wasser in ihren Adern fließen sehen."

Invasion der Fettleibigen

Es dauerte bis 1958, bis Hunza aus seiner Abgeschiedenheit gerissen wurde - die erste Jeeppiste in die nächstgrößere Stadt, Gilgit heißt sie, wurde freigeschaufelt. Kurz vorher war zum ersten Mal ein Hubschrauber in Karimabad, dem größten Dorf des Hunza-Tals, gelandet. "Die Frauen hatten sich vor Angst in den Häusern versteckt", erinnert sich der alte Jawar. Dann ging alles sehr schnell. 1978 wurde der erste Teil des Karakorum Highways - der ersten Passstraße zwischen Pakistan und China - fertiggestellt. Eine Meisterleistung der Ingenieure. 15 000 Pakistani und 20 000 Chinesen hatten mehr als zehn Jahre an der 1200 Kilometer langen Strecke über den Kunjerab-Pass geschuftet. Plötzlich war Hunza über eine Asphaltstraße mit der Neuzeit verbunden. Mitte der achtziger Jahre hielt zum ersten Mal ein Bus in Karimabad, aus dem merkwürdige, fettleibige Europäer stiegen. "Sie hatten Fotoapparate um den Hals und dicke Wollmützen auf den Kopf", erzählt Jawar. Hunza wurde Touristenattraktion.

Heute verkaufen links und rechts der Hauptstraße Dorfbewohner aus großen Kühltruhen Softdrinks und Schokoriegel, die mit Lastwagen aus der Ebene herangekarrt werden. Das größte und prächtigste Hotel am Ort, das "Darbar", wird vom Fürsten höchstpersönlich geführt. Seit er 1974 seine Macht endgültig abgeben musste und Hunza ein administrativer Landkreis von Pakistan wurde, betätigt sich der einstige Herrschersohn als Geschäftsmann. Der Tourismus hat dem einst ärmlichen Tal zu einem bescheidenen Wohlstand verholfen. An wolkenlosen Tagen fliegt heute eine zweimotorige Maschine von der pakistanischen Hauptstadt Islamabad zwischen schneebedeckten Bergspitzen das Indus-Tal entlang nach Gilgit. Von dort sind es rund drei Stunden mit dem Minibus nach Hunza. Die letzten paar Hundert Meter, den Aufstieg vom Fluss nach Karimabad, geht es zu Fuß.

Sanft windet sich der schmale Weg durch die Obstgärten, die von sorgfältig angelegten Bewässerungskanälen durchzogen sind. Eine Landschaft wie in den bayerischen Alpen - mitten in Asien. Die Holzhäuser, niedrig und mit bunten Blumen davor. Links und rechts grenzen Lattenzäune die Felder ab. Pappeln und Birkenalleen säumen die Terrassen. Kein Staub und Dreck, wie er noch im benachbarten Gilgit das Atmen mühsam gemacht hatte. Wie leicht muss es für die ersten Entdecker gewesen sein, in dieser europäisch anmutenden Bergwelt ins Schwärmen zu geraten? "Essen und Weideland sind reichlich", schrieb 1938 die Forscherin Emily Lorimer. "Jedes Gesicht, das man sieht, blickt ausgeruht und selbstsicher, jederzeit bereit, in ein breites Lächeln auszubrechen. Schwere Verbrechen sind unbekannt, und sogar Diebstahl und kleine Gaunereien sind nicht-existent, obwohl es in diesem Land weder Gefängnisse noch eine Polizei gibt."

Wir beginnen die Suche ganz oben, beim Fort. Vor ein paar Jahren wurde es renoviert und zu einem Museum umgebaut. "Das Geheimnis des langen Lebens? Deshalb kommen sie alle", sagt Ejaz Ullah Baig und blickt etwas spöttisch von der Terrasse über die verwinkelten Gassen von Karimabad. Baig ist der Kurator des Museums, und weil er früher in Karachi studiert hat, ist er für viele hier so etwas wie der Dorfgelehrte. Mit seinem gezwirbelten Schnurrbart und dem langen Gewand sieht er wie ein indischer Magier aus einem Schwarzweiß-Film aus. Es stimme schon, sagt Baig, dass besonders viele Hundertjährige in Hunza lebten. Eine Nachbarin, die alte Bigim, sei stolze 111 Jahre alt. Sein Vater, ein ehemaliger Minister im Fürstentum, wurde 99, der Großvater über 100. In anderen Familien sei es ähnlich. "Ja, es liegt eine Wahrheit in dieser Geschichte vom langen Leben." Durch die lange Isolation, versucht er das Rätsel der ewigen Jugend zu erklären, seien Viren, Seuchen und andere Krankheiten nie nach Hunza gekommen. Auch habe es praktisch keine Medizin gegeben, so starben viele Hunza schon im Säuglingsalter. "Nur die Stärksten überlebten, und deren Gene waren dann so gut, dass sie uralt wurden." Als habe er schon zuviel verraten, fügt er schnell hinzu: "Das ist nur eine Möglichkeit, bewiesen ist das nicht."

Langeweile hält jung

Vor einigen Jahren hat Ejaz Baig damit begonnen, die Geschichte der Hunza aufzuschreiben. Er besuchte die Greise in ihren Häusern, ließ sie erzählen. "Die Menschen lebten hier früher praktisch ohne Stress", sagt Baig. Die Felder waren mehr oder weniger gleich groß, es gab kaum Verteilungskämpfe. Ohne den Einfluss der Außenwelt blieb das Leben überschaubar und eintönig - die ideale Voraussetzung für ein hohes Alter. Und dann sei da natürlich noch die Ernährung. "Viele glauben, dass das Gletscherwasser uns so alt macht", sagt Baig. Es habe sogar einmal eine wissenschaftliche Untersuchung gegeben. "Aber die Forscher haben damals nichts herausgefunden." Auch war Fleisch rar im alten Hunza. Nur wenn die Männer in den Bergen einen Steinbock erlegten oder mal eine Ziege geschlachtet werden musste, gab es Abwechslung in der eintönigen Kost aus getrockneten Früchten, Getreidesuppe, Nüssen und Ziegenmilch. "Aus heutiger Sicht war das eine ideale Ernährung." Aber, sagt Baig, das seien alles nur Theorien. "Das Geheimnis des Volkes der Hunza muss man selbst entdecken."

Man schickte uns zu Shanawar Kahn. Mit 67 gehört er in Hunza zwar noch zu den Jüngeren. Aber er ist der Klanchef der Diramiting-Sippe, zu der rund 200 Familien im Tal zählen, und der Klanchef ist in Hunza immer die erste Anlaufstelle. "Die Leute hier sind gesünder und kräftiger als draußen", sagt Kahn. Als junger Mann, 1950, ging er zur pakistanischen Armee, und weil er so groß und athletisch war, stellte man ihn sofort in das Fußballteam. Er sei viel rumgekommen damals, erzählt er. "Aber ich habe nie einen Ort gefunden, wo das Leben so friedlich ist wie hier." Sieben Söhne - zwei davon arbeiten heute als Bergführer für Extremexpeditionen am Mount Everest -, fünf Töchter und ebenso viele Enkel gehören zu seiner Familie. Sein jüngster Sohn, gerade 18 geworden, bringt eine Schüssel mit Knabbereien - Nüsse und getrocknete Aprikosen.

Knochen aus Aprikosenöl

Den Posten des Klanchefs erbte Kahn von seinem Vater. Wenn es in der Sippe Streit gibt, kommen die Menschen zu ihm. "Sie wissen schon, wenn die Ehefrau mit der Schwiegermutter nicht klarkommt", sagt Khan mit einem Lächeln. Manchmal gebe es auch Ärger zwischen Nachbarn, um Wasser- und Bodenrechte. Die Polizei würde in Hunza niemand rufen. Khan schlichtet nach den alten Regeln: Ein Haus dürfe nur so hoch gebaut werden, dass "der Schatten nicht auf die Felder des Nachbarn fällt". Bei Ehestreitigkeiten versucht er zu vermitteln. "Wissen Sie, was der Unterschied zu ihrem Land ist?", fragt Kahn. In Hunza gewinne jemand mit dem Alter an Respekt. Wenn die Familien abends vor der Feuerstelle zusammen essen, bekommen die Alten die größte Portion. "Je älter man wird, desto mehr Verantwortung bekommt man." Das sei alles, das halte jung. Mit seiner von der Bergsonne gebräunten Haut und den markanten Gesichtszügen unter den grauen Haaren könnte Kahn tatsächlich auch als 40-Jähriger durchgehen. Also gibt es kein Geheimnis für seine Jugend. Khan grinst: "Letztes Jahr habe ich mir neue Zähne machen lassen."

Habib Ullah ist alt - steinalt. In eine Wolldecke gehüllt liegt er neben der Feuerstelle auf dem Boden. Es riecht nach Urin. Hundert Jahre soll er alt sein, genau weiß das niemand. Ein Geburtenregister gab es damals nicht. Habibs Augen sind wässrig, sein Haut ist ledrig und von unsichtbaren Fäden überzogen. Als er zu reden versucht, kommt nur Unverständliches über seine Lippen: "Mmmmpff, Mmmmpff." Einst war Habib der Leibwächter des Fürsten. "Er war ein ganzer Kerl, er konnte einen Steinbock mit der bloßen Hand erlegen", erzählt seine Frau Nani und versteckt ihren zahnlosen Mund hinter einem Tuch. Heute liege Habib die meiste Zeit nur noch in der Ecke neben dem Herd. Manchmal, an guten Tagen, lasse er sich von seiner Tochter abstützen und schafft die paar Meter auf die Terrasse vor dem Haus. Hat er Krankheiten? "Er sieht fast nichts mehr, aber sonst ist er gesund", sagt seine Frau. Plötzlich wird Habib unruhig. Unendlich langsam erhebt der Greis seinen Oberkörper und winkt den Besucher mit zittriger Hand zu sich. Sein Atem ist schwer und riecht nach Moder, als er zu sprechen beginnt. Die Stimme ist nur ein Hauchen. "Ich war wie ein Vogel, nur ohne Flügel", flüstert er. Im nächsten Moment scheint er eingeschlafen zu sein. Dann spricht er noch einmal: "Unsere Knochen", beginnt er und holt tief Luft: "Unsere Knochen sind aus Aprikosenöl."

Tags darauf treffen wir dann den alten Jawar Beg. Er springt von seiner Gartenarbeit auf, als er uns sieht, und rückt scheinbar mühelos ein paar schwere Holzstühle zusammen. Wahrscheinlich hätten wir ihm alles geglaubt, diesem jungen Alten, der noch jeden Tag an seinen Obstbäumen arbeitet, der jede Minute seines Lebens im Gedächtnis zu haben scheint. Als Jawar Beg die Schüssel auf den Tisch stellt, ist plötzlich alles klar: getrocknete Aprikosen, Walnüsse, Mandeln und Hafer. Das Geheimnis der Hunza - ein einfaches Müsli, wie es jeden Morgen auf Millionen Frühstückstischen steht. Für die Menschen in dem Hochtal sei das schon immer die Hauptnahrung gewesen, erzählt Jawar. Statt mit Milch werde die trockene Speise meist mit Wasser aufgeschüttet. Drei Dutzend verschiedene Aprikosensorten gebe es im Hochtal von Hunza, erzählte uns Jawar Beg. Besonders gesund sei auch das Öl, das bis heute aus den Aprikosenkernen gepresst wird. Zum Abendessen werde Brot in das Öl reingetunkt. "Ein reineres Lebensmittel gibt es nicht auf der ganzen Welt."

War es die dünne Höhenluft, die uns den Kopf schwindeln ließ? Tausende Meter über dem Meer, irgendwo im Himalaya. Die atemraubende Schönheit der Frühlingslandschaft? Die leuchtend grünen Felder mit den Obstbäumen, das unendliche Blau des Himmels? Spätestens zu dem Zeitpunkt war klar, dass Hunza auch uns in seinen Bann gezogen hatte. Wie schon so viele vor uns.

Im Januar des Jahres 1900 hielt ein junger Arzt im Zunfthaus zur Saffran einen Vortrag vor der Züricher Ärzteschaft, um seine revolutionäre Ernährungstherapie zu verkünden. "Sonnenlichtnahrung" nannte dieser Dr. Maximilian Bircher-Benner seine neue Rohkostnahrung. Das zunächst als Apfeldiätspeise bekannte Gesundheitsgericht wurde als "Bircher Müsli" zu einem Welterfolg. Das Müsli wurde zum "berühmtesten Beitrag der Schweiz zur internationalen Küche", wie man in Zürich gerne betont. Dabei war auch Maximilian Bircher-Benner nur der Legende von dem glücklichen Hunza verfallen. Der schottische Arzt Sir Robert McCarrison hatte als erster das Phänomen der Langlebigkeit der Hunza wissenschaftlich untersucht und veröffentlicht: "Ungekochte Nahrung bildet einen Hauptteil der täglichen Kost. Fleisch und Wein werden bei seltenen Gelegenheiten konsumiert. Die Nahrung ist im Ganzen knapp." Bircher, der selbst nie im Tal der Hunza war, glaubte bis zum Schluss an diesen Traum. "Wie heißt es, jenes Volk, das keine Krankheiten kennt?", soll er im Jahr 1939, auf seinem Totenbett, gesagt haben. Drei Jahre später veröffentlichte sein Sohn, Ralph Bircher, das Geheimnis des Müsli-Erfinders in einem Buch. Der Titel: "Hunza - Das Volk, das keine Krankheiten kennt".

http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die-Dritte-Seite;art705,1887887


Dienstag, 2. Februar 2010

Calhoun 1962


















John B. Calhoun, Psychologe und Forscher im Dienste der amerikanischen Gesundheitsbehörden, beschäftigte sich mit dem Forschungsthema Überbevölkerung. Sein Hauptaugenmerk gilt der wissenschaftlichen Klärung der Frage, welche Auswirkungen die Bevölkerungsdichte auf das soziale Verhalten von Menschen hat. Eines seiner ersten Experimente unternahm er mit einer Population wilder Ratten.
Calhoun hielt diese Ratten auf einem Gelände von ca. 100 qm, versorgte die Tiere reichlich mit Nahrungsmitteln und achtete darauf, dass äußere Einwirkungen, wie Krankheit oder Katzen, ausgeschaltet wurden. Für die Ratten gab es also keinerlei Möglichkeiten, den Konsequenzen ihrer eigenen Vermehrung und der damit anwachsenden Bevölkerungsdichte zu entfliehen. Nach 27 Monaten hatte sich die Bevölkerungszahl auf 15o erwachsene Ratten stabilisiert. Eine sehr niedrige Zahl! Aufgrund der beobachteten Reproduktionsrate hätte Calhoun eine Bevölkerungszahl von 5000 Ratten erwarten können. Der Grund, der zu dieser unerwartet niedrigen Bevölkerungszahl führte: Die Jungtiersterblichkeit war außerordentlich hoch, und zwar nicht wegen Krankheit, sondern wegen schwerer Schäden des mütterlichen Verhaltens. Selbst mit nur 150 Erwachsenen in der abgeschlossenen Arena ließ der »soziale Stress« das sonst rattenmutterübliche Pflegeverhalten nicht zu. Die Rattenmütter hatten offensichtlich einfach keine Zeit, ihren Jungen die notwendige Pflege angedeihen zu lassen, so dass nur wenige Nachkommen überlebten.
Eines der letzten Experimente Calhouns zeitigte noch weit schlimmere Folgen. Calhoun betätigte sich als Städteplaner und Architekt für Rattenwohnungen. Auf zweieinhalb Metern im Quadrat baute er eine kleine Stadt mit 256 Appartements, stellte Wasser- und Verpflegungsstellen zur Verfügung. Um sicher zu gehen, dass es die Bewohner auch gemütlich haben, klimatisierte er den ganzen Raum und richtete Kontaktplätze ein, die den Bewohnern als Stellen der Begegnung dienen sollten. Dann quartierte er die ersten Bewohner dort ein, nämlich acht weiße Ratten, und lief dem Schicksal seinen Lauf.
Die acht Ureinwohner vermehrten sich im Laufe der Zeit auf 150 Tiere, was nach Calhoun eine Idealziffer darstellt. Doch das Ausbleiben von Krankheiten und Räubern ermöglichte eine weitere Vermehrung auf 6oo Ratten. Calhoun beobachtete, wie sich langsam soziale Strukturen herausbildeten. Es sonderten sich 14 Gruppen ab, die als die dominanten Tiere angesehen werden konnten, wahrend die übrigen sich in der Mitte des Raumes zusammendrängten. Hier versammelten sich über 400 Ratten, von denen es nur wenigen gelang, in eine der 14 Gruppen aufzusteigen. Die unterprivilegierten Tiere, die in der Mitte des Geheges zusammengepfercht lebten, reagierten mit erheblicher Gewalttätigkeit und bekämpften sich schließlich sogar untereinander. Die ranghohen Tiere, die in der sozialen Hierarchie zu einer der 14 Gruppen gehörten, vermehrten sich weiterhin ungemein schnell, bis die Bewohnerzahl des Geheges schließlich auf 2200 Tiere anschwoll. Dabei wurden die Sozialstrukturen völlig zerbrochen. Die Mütter zeigten nicht mehr das normale Pflegeverhalten. Wahrend sie sonst z. B. für ihre Jungen ein Nest zu bauen pflegen aus Material, das Calhoun in reichlichem Maß zur Verfügung stellte, schafften sie es nunmehr kaum noch, mit einigen wenigen Schnipseln einen solchen Nestbau auch nur anzudeuten. Die Kinder gingen in der quirlenden Masse ihrer Artgenossen unter und hatten keine Chance zu überleben. Nur wenigen gelang es noch, zu kopulieren, weil sie dauernd von wütenden Artgenossen angegriffen und so daran gehindert wurden. Schließlich erstarb das Leben mehr und lehr. Selbst normale Pfeif- und Quietschgeräusche, die sonst alle Aktivitäten der Ratten untermalen, hörten auf.
Die meisten Tiere, so beschreibt Calhoun, sind zwar physisch gesund, aber sozial steril, eingefroren in eine Art kindhafter Trance. So nahte das Ende. Seit einem Jahr wurde in der einst so luxuriösen Überflussgesellschaft kein Nachwuchs mehr geboren. Die Zahl der Bewohner schrumpfte auf 600 und weiterer Nachwuchs war nicht mehr zu erwarten. Die jüngste Ratte, so ermittelte Calhoun, war 4o Jahre alt, übertragen auf die menschliche Lebensspanne. Die mit allen Annehmlichkeiten eines Rattenlebens ausgestattete Überflussgesellschaft war um Tode verurteilt.

quelle: http://www-public.tu-bs.de:8080/~jtausch/Dokumente/Bunk-Tausch-2/20231_Sozialer%20Stress%20bei%20Saeugetieren/20231.pdf